Barmherzigkeit – in die Hand geschrieben

Vor etwa 32 000 Jahren tauchte ein Jugendlicher seine Hand in roten Lehm und drückte sie gegen eine Höhlenwand von Pont-d'Arc in der Ardèche (Region Rhône-Alpes). Vor 32 000 Jahren, das ist eine Ewigkeit. Warum drückte dieser Mensch seine Hand auf den Felsen? Weil er morgen sehen wollte, dass er gestern da war. Um sich selbst auch morgen noch – vielleicht neu – zu entdecken.

Im Gefängnis wollten wir Bischof Manfred eine Geschenk zum Abschied machen – ein Weihnachtsgeschenk und zugleich eine Abschiedsgabe der Häftlinge. Auf einem weißen Messkleid mit dem offiziellen Logo zum Jubliläumsjahr der Barmherzigkeit drückten Häftlinge ihre Hände ab, bunt wie der Haufen und das Leben das dahinter steht. Was bedeuten diese Hände auf dem Messkleid? Hände, die vielfach etwas Schlechtes getan hatten, doch im Gottesdienst die Hand zum Friedensgruß ausstrecken, die Kommunion empfangen, die Krankensalbung. Hände die ihre Gaben zum Altar bringen und um Wandlung beten.

 

Hände, deren Lebensgeschichte kaum zu beschreiben, geschweige denn auszuhalten sind und doch hat Gott sie in seine Hand geschrieben!

Fingerabdrücke , können in einem Verfahren be- oder entlastend sein. Nun sind sie als Handabdruck auf dem Messkleid für einen Bischof! Das Jahr der Barmherzigkeit steht unter dem Logo des Heilands, gekennzeichnet durch seine Wundmale nach der Kreuzigung, der den Verräter, den so schuldig gewordenen Judas wie ein guter Hirte sein Lamm über der Schulter trägt – was für ein Bild! Wie oft wurde Judas verflucht. Das Volk der Juden mit ihm dem Verräter gleichgesetzt. Wie „übermenschlich“ ist hier die göttliche Barmherzigkeit, die sich nicht an weltliche Maßstäbe hält. Papst Franziskus lädt ein, der über-großen Barmherzigkeit Gottes zu vertrauen. So hat er die Gründonnerstagsliturgie des katholischen Kirchenoberhauptes aus der strahlenden Peterskirche verlegt hinter Gefängnismauern, wo er, der Papst, als Diakon auf die Knie geht und den Sträflingen die Füße wäscht. Wäre diese Art der christlichen Barmherzigkeit nicht grundlegend, dann wäre Gefängnisseelsorge unsinnig.

Ornat am Gefängnistor

 

Als ich mit den Häftlingen die christliche Barmherzigkeit thematisiert habe, wurde mir großes Unverständnis signalisiert.

Was heißt dieses Wort - nie gehört! Ein Wort aus der kirchlichen Sprache, weit weg von den Menschen – wie so häufig... Erschütternd, gerade im Gefängnis ist das Wort unbekannt – wirklich nur hier?

An Weihnachten überbringen wir Geschenke vieler unbekannter Spender in die Zellen: Zu Menschen die lange schon nichts mehr erwarten - wegen ihrer Schuld! Das ist Teil der Erfahrung, doch bemerkt zu sein, von Gott erwartet und geliebt und auf Vergebung hoffen zu dürfen. Die Freude von der Menschwerdung Gottes durch ein Geschenk zu übermitteln ist eine tiefe und wichtige Erfahrung – gerade für die, deren Bruchstellen im Leben so groß und offensichtlich geworden sind. Darum möchte ich auch den vielen Engeln herzlich danken, die hierzu beitragen! Der bereits traditionelle Besuch des Bischofs zum Fest der Menschwerdung unterstreicht in aufmerksamer Weise den Grund zur Hoffnung für die mir Anvertrauten.
Viele haben mehr als einen Handabdruck in meinem Denken und Fühlen hinterlassen und mir den Horizont zur Barmherzigkeit geweitet,

Das begonnene „Heilige Jahr“ sei,so der Papst,"stets Anlass zu einer umfassenden Begnadigung, bestimmt für jene, die eine Strafe verdient haben, sich aber des begangenen Unrechts bewusst geworden sind und den aufrichtigen Wunsch haben, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern und ihren ehrlichen Beitrag zu leisten".

Die Häftlinge können diese Gnade finden "in den Gefängniskapellen und jedes Mal, wenn sie durch die Tür ihrer Zelle gehen und dabei ihre Gedanken und ihr Gebet an Gottvater richten". So werden Zellentüren zu „Heiligen Pforten“. "Denn die Barmherzigkeit Gottes, die in der Lage ist, die Herzen zu verwandeln, kann auch die Gitter in eine Erfahrung der Freiheit verwandeln", schreibt Franziskus.

Die Hände der Häftlinge auf dem Messkleid verbunden mit dem Symbol der Barmherzigkeit begleiten nun unseren Bischof Manfred nach Linz. Möge er mit dem Gewand die nach Zukunft und Leben ausgestreckten Hände der Tiroler Strafgefangenen immer wieder zum Altar des Ewigen tragen und in der Messe zur Wandlung anbieten. Ihn und uns hat die Begegnung vor Weihnachten an die Erlösungsbedürftigkeit menschlicher Schuld und an die „übermenschliche“ Barmherzigkeit Gottes erinnert.

Autor:
Andreas Stefan Liebl
Gefängnisseelsorger und Religionslehrer an der Tiroler Fachberufsschule für Holztechnik in Absam

Weitere Informationen