Aus dem Schmutz zu neuem Glanz auferstanden

Berchtesgaden feiert an Karfreitag die Wiederentdeckung einer Kostbarkeit aus dem Mittelalter - Jetzt mit Video!

 

Eine Entdeckungsgeschichte, so spannend wie ein Krimi: Auf dem Dachboden der Berchtesgadener Stiftskirche entdeckte eine Kunsthistorikerin 2015 ein ganz besonderes Kreuz, dessen Geschichte bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht. Nach einer aufwendigen Restaurierung ist das "handelnde Bildwerk" eines Christus mit beweglichen Armen nun in die Stiftskirche zurückgekehrt. Am Karfreitag um 20 Uhr wird die auch kunsthistorisch bedeutsame Christusfigur mit einem besonderen Gottesdienst samt Kreuzesabnahme und Grablegung gefeiert.

Noch heute schwingt Begeisterung in der Stimme von Regina Bauer-Empl mit, wenn sie sich an die Situation der aufregenden Entdeckung vor ein paar Jahren erinnert. Sie war als Restauratorin der Erzdiözese München-Freising in enger Kooperation mit dem Landesamt für Denkmalpflege für die sorgfältige Bergung und Restaurierung der in völlig desolatem Zustand aufgefundenen Christusfigur zuständig.

Jahrzehntelang lag das Kunstwerk unbeachtet und vergessen auf dem Dachboden über der Oberen Sakristei der Stiftskirche. Diese ist nur auf abenteuerliche Weise über einen begehbaren Holzschrank und eine wacklige Leiter mit fehlenden Sprossen und eine enge Luke zugänglich. Diesen Weg nahm 2015 auch die Kunsthistorikerin Dr. Natalie Glas im Rahmen einer Nachinventarisierung sämtlicher Kunstwerke der Erzdiözese.

Sie fand die Christusfigur auf Holzdielen liegend, daneben der lose rechte Arm sowie ein Nimbus aus Metall und Eisennägeln. Der – wie Holzspuren zeigen – wohl gewaltsam samt Schultergelenk ausgerissene linke Arm war nicht mehr auffindbar. Ebenso fehlten Teile an den Fingern und Füßen.

Weihevolle Stimmung bei Kreuzabnahme

Für das Team der Kunsthistoriker um Dr. Norbert Jocher, dem damaligen Leiter der Hauptabteilung Kunst im Ordinariat München, deutete vieles darauf hin, dass es sich bei dem Fund um einen sehr seltenen Kruzifixus aus dem Mittelalter mit beweglichen Armen handelt. Dieser wurde am Karfreitag am Kreuz verehrt, vom Kreuz abgenommen und – eingebettet in eine liturgische Dramaturgie mit Gebeten, Gesängen, Weihrauch und Kerzenlicht – zur Ruhe ins Heilige Grab gelegt. Möglich wurde dies durch die beweglichen Arme der „wandelbaren“ Christusfigur. Weltweit sind rund 140 solcher Kruzifixe bekannt. Neben Berchtesgaden befinden sich im Gebiet der Erzdiözese München-Freising weitere wie in Kleinhelfendorf. Was den Berchtesgadener Fund so besonders macht, ist sein Alter. Mit der Datierung Ende des 14. Jahrhunderts gehört er zu den frühesten Kunstwerken dieses Typus, der erstmals um 1300 in Florenz nachgewiesen ist.

Den armseligen Zustand der Christusfigur beim Auffinden beschreibt Regina Bauer-Empl so: „Die Farbfassung blätterte in übereinander liegenden oder gegeneinander verschobenen Schollen ab, lag kleinteilig zerfallen in der Tiefe und war mit einer dicken Schicht Staub überzogen“. Was tun in dieser Situation? Mit einem speziellen Bindemittel sicherte und fixierte die Fachfrau die Farbschicht. Danach wurde der Fund per Holztrage bergmännisch durch die enge Dachbodenluke geborgen und in die klimatisierte Werkstatt gebracht.

Komplexe Fragen bei Restaurierung

Bei den Konservierungsarbeiten sahen sich Bauer-Empl und ihre beiden Kolleginnen Doris Zeidler und Julia Brandt vom Landesamt für Denkmalpflege mit komplexen konservatorischen Herausforderungen konfrontiert: Es galt, die starke äußere Verschmutzung zu entfernen ohne gleichzeitig die fragile und brüchige Malschicht zu gefährden. Nach naturwissenschaftlichen Befunduntersuchungen und Literaturrecherchen brachte schließlich eine modifizierte Form von Methylcellulose die Lösung.

Schritt für Schritt erlangte so der knapp 1,30 Meter große Kruzifixus sein jetziges Aussehen wieder. Es lässt im Detail die unterschiedlichen Farbschichten erkennen. Farbanalysen deuten darauf hin, dass die am Lendentuch erkennbaren Blutstropfen aus der Entstehungszeit im Mittelalter stammen. Weiter zeigte sich laut Bauer-Empl, „dass die Christusfigur möglicherweise bis Anfang des 20. Jahrhunderts in Nutzung war“.

Von einem „absoluten Glücksfund“ spricht auch Monsignore Dr. Thomas Frauenlob, der die Pfarrei Berchtesagden betreut. Er sieht in der geschundenen und an mehreren Stellen stark beschädigten Christusfigur ein „Spiegelbild unserer Welt, die gezeichnet ist von massiven Verwundungen“. Damit lade dieser Christus am Kreuz dazu ein, „das Licht und die Botschaft von der Liebe Gottes in diese verwundete Welt hineinzutragen“. Nicht zuletzt deshalb soll der wiedergefundene Berchtesgadener Kruzifixus nach Ostern auch einen Ehrenplatz in einem kleinen Andachtsraum im Turmbereich bekommen.

Kruzifixus Berchctesgaden (c) Erzbischöfliches Ordinariat München - HA Kunst, Foto: A. Bunz

© Erzbischöfliches Ordinariat München, HA Kunst, Foto: A. Bunz

Als „handelndes“ Bildwerk mit einem beweglichen Arm macht der in der Stiftskirche Berchtesgaden neu ausgestellte „wandelbare Christus“ aus dem Mittelalter (ca. 1380 – 1390) das Geschehen um den Tod und die Wiederauferstehung Christi an Ostern eindrücklich erlebbar. Sein Fundort nördlich der Alpen macht ihn zu einer echten kunsthistorischen Entdeckung.

Kruzifixus Berchctesgaden (c) Erzbischöfliches Ordinariat München - HA Kunst, Foto: privat

© Erzbischöfliches Ordinariat München, HA Kunst, Foto: privat

Bei seinem Auffinden 2015 auf dem Dachboden über der oberen Sakristei der ehemaligen Augustiner-Chorherren-Stiftskirche in Berchtesgaden befand sich die Christusfigur in einem erbärmlichen Zustand.

Kruzifixus Berchctesgaden (c) Erzbischöfliches Ordinariat München - HA Kunst, Foto: A. Bunz

© Erzbischöfliches Ordinariat München, HA Kunst, Foto: A. Bunz

Schrittwiese wurden im Rahmen der Restaurierungsarbeiten durch Expertinnen der Erzdiözese und des Landesamtes für Denkmalschutz die einzelnen Farbschichten vom Schmutz befreit und neu fixiert.

Kruzifixus Berchctesgaden (c) Erzbischöfliches Ordinariat München - HA Kunst, Foto: A. Bunz

© Erzbischöfliches Ordinariat München, HA Kunst, Foto: A. Bunz

Die schnitztechnische Anlage der Augenlider lässt darauf schließen, dass die Augen auch im Originalzustand zur Entstehungszeit geöffnet und damit sichtbar waren.

Kruzifixus Berchctesgaden (c) Erzbischöfliches Ordinariat München - HA Kunst, Foto: A. Bunz

© Erzbischöfliches Ordinariat München, HA Kunst, Foto: A. Bunz

Die naturwissenschaftliche Farbanalyse dieser Spur von aufgemalten Blutstropfen auf dem Lendentuch lässt darauf schließen, dass sie noch aus der Entstehungszeit im Hochmittelalter stammt.

Aktuelle Hängung in der Stiftskirche Berchtesgaden, Foto: Axel Effner

© Axel Effner

Fotos von der aktuellen Hängung in der Stiftskirche Berchtesgaden, wo die Christusfigur seit Beginn der Fastenzeit zu sehen ist.

Das Kruzifixus am Palmsonntag bei der Messe in der Stiftskirche, Foto: Andreas Pfnür

© Andreas Pfnür

Das Kruzifixus am Palmsonntag bei der Messe in der Stiftskirche

Bericht: Axel Effner

Weitere Informationen