Kirchturm oder Minarett?

Dialog als Chance – Islam und Muslime in Deutschland

Kollabiert das christliche Selbstverständnis nun endgültig angesichts der aktuellen Flüchtlingsströme aus islamischen Ländern? Oder fordern die muslimischen Migranten eher zum Bekenntnis heraus und wirken identitätsstiftend? Stehen wir vor einer Neubesinnung auf die eigenen Wurzeln unseres Glaubens und unserer Kultur? In seinem Impuls-Vortrag „Islam ganz nah! Bedrohung oder Herausforderung für das Christentum?“ im Anschluss an die Vollversammlung des Dekanatsrats in Piding setzte sich Dr. Andreas Renz, Leiter des Fachbereichs Dialog der Religionen im Erzbischöflichen Ordinariat München und Lehrbeauftragter an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität, engagiert und kenntnisreich mit diesem Fragenkomplex auseinander und präsentierte als profunder Kenner interessante Fakten und Thesen.

Die Flüchtlingskrise ist komplex und die Not der betroffenen Menschen „die schlimmste Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg“, wie Papst Franziskus vor kurzem auf Lesbos beklagte. 60 Millionen Menschen befinden sich weltweit auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Armut. Ein paar Hundertausend sind hängengeblieben an den Grenzzäunen eines Europa, das mit unbarmherzigen Gefeilsche und fragwürdigen Kompromissen versucht, der Lage Herr zu werden. Die Gestrandeten drohen dabei von den Mühlen des Elendsmanagements zermahlen zu werden.

Aktuell leben laut Referent etwa 5 Mio. Muslime in Deutschland, ein Drittel davon in Nordrhein-Westfalen – die rund 1 Mio. zusätzlichen Muslime durch Fluchtmigration hinzugerechnet. Das sind nur 6 % der Gesamtbevölkerung – auch wenn die mediale Berichterstattung, befeuert durch die gehässigen Agitatoren von AfD und Pegida, wesentlich höhere Präsenzzahlen vermuten lassen würde. Die größten Ängste und Vorbehalte bis hin zu lebensgefährlichem Fremdenhass zeigen sich ausgerechnet in Ostdeutschland, obwohl dort fast keine Muslime leben, während in Westdeutschland das Zusammenleben zwar nicht konfliktfrei verlaufe, aber von gegenseitiger Toleranz gekennzeichnet sei. Die soziale Integration der Mehrheit der Muslime sei relativ gut, auch wenn es bei einem Teil Probleme bezüglich der strukturellen Integration gebe – bedingt durch die schlechte Bildung der ersten Einwanderergeneration. Allerdings könne ein deutlicher Bildungsaufstieg, v.a. bei Frauen, ab der zweiten Generation verzeichnet werden.

War der Islam in Deutschland bis 2013 vorwiegend türkischstämmig, so erfahre er jetzt durch die neu hinzugekommenen Flüchtlinge eine arabische und afrikanische Prägung. Das „Andocken“ der Neuen bedeute eine enorme Integrationsaufgabe für die bundesrepublikanische Gesellschaft und die verschiedenen Moscheevereine, die meist entlang ethnischer Herkunft organisiert seien. Seit 2007 haben sich die vier großen Dachverbände im Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland (KRM) zusammengeschlossen, so Renz, allerdings habe noch keine Gruppierung den Körperschaftsstatus erlangt. Nur eine Minderheit der Muslime aber, maximal 10-20 %, seien organisiert, die große Mehrheit nicht, da der Islam eine verbindliche Organisationsstruktur für das religiöse Leben weder kenne noch benötige. Starke Säkularisierungstendenzen seien auch bei den Muslimen feststellbar.

„Ein Großteil der organisierten Muslime ist traditionell, konservativ, aber nicht fundamentalistisch ausgerichtet“, betonte Dr. Renz. „Nur 1 % der Muslime in Deutschland, darunter ca. 7000 Salafisten, kann dem fundamentalistischen Spektrum, dem politischen Islam, zugerechnet werden.“ Nur ein kleiner Teil davon sei auch gewaltbereit.

Gefahr für friedliche Koexistenz, Dialog und Grundordnung gebe es: Sie gehe zum einen von diesen fundamentalistischen islamistischen Gruppen aus, zum anderen aber auch von islamfeindlichen, rechtsextremen und –populistischen Gruppierungen, die billige Hetze betrieben, Ängste schürten und verbale wie physische Gewalt anwendeten. Ein wichtiges Element zur Gegensteuerung und zum Abbau von Integrationshemmnissen sei die Einrichtung von fünf Zentren für islamische Theologie an staatlichen deutschen Universitäten, mit denen eine eigenständige islamische Theologie in deutscher Sprache, europäischem Kontext und mit moderner Sicht etabliert werde. Zudem sei der islamische Religionsunterricht ein wichtiges Instrument der Integration.

Über Jahrhunderte gestaltete sich das Verhältnis der christlichen und islamischen Welt schwierig, erst vor rund 50 Jahren habe die Katholische Kirche im II. Vatikanischen Konzil (1962-65) einen Neuanfang gewagt, resümierte der Referent im Rückblick. In „Lumen gentium“(1964), der dogmatischen Konstitution über die Kirche, werde die Zugehörigkeit von Juden, Christen und Muslimen zu einer Familie betont und finde sich die erste positive Aussage eines Konzils über die Muslime. Diese Grundaussage werde vertieft und ausdifferenziert im Konzilstext „Nostra aetate“ (1965), der Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, die Idealvorstellungen formuliert und den interreligiösen Dialog ausbaut.

Die von Peter Scholl-Latour zitierte „Schwäche des Abendlandes und Christentums“ wollte Dr. Renz so nicht sehen, sondern plädierte für „Zuversicht aus dem christlichen Glauben“ heraus. Zwar sei ein „Substanzverlust“ allerorten feststellbar, jedoch könne die Präsenz des Islams und der Muslime vor Ort auch eine Chance sein, um sich im von Respekt und Toleranz getragenem Dialog auf die eigene Identität als Christ zu besinnen, diese Bindung wieder mehr zu schätzen und sich gesellschaftlich aktiver einzubringen. Eindringlich warnte er vor einer verkürzten, auf den religiösen Aspekt reduzierten Sicht auf muslimische Mitbürger: „Auch die Identitäten von Muslimen bilden sich aus verschiedenen Aspekten, von denen die Religion nur eine unter vielen ist.“

Interessante Fakten und Thesen zum Islam in Deutschland: Dekan Msgr. Dr. Thomas Frauenlob (l.) und Dekanatsratsvorsitzender Michael Koller (r.) dankten Dr. Andreas Renz, Leiter des Fachbereichs Dialog der Religionen am Erzbischöflichen Ordinariat München, für seinen fundierten Ausführungen.

Interessante Fakten und Thesen zum Islam in Deutschland: Dekan Msgr. Dr. Thomas Frauenlob (l.) und Dekanatsratsvorsitzender Michael Koller (r.) dankten Dr. Andreas Renz, Leiter des Fachbereichs Dialog der Religionen am Erzbischöflichen Ordinariat München, für seinen fundierten Ausführungen.

Bericht und Foto: Irmi Schöner-Lenz

 

zurück zur Übersicht

Weitere Informationen