Funkelnde Rarität

Den Silberaltar gab Fürstpropst Cajetan Anton Notthafft von Weißenstein 1735 in Augsburg in Auftrag

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Betritt man die Berchtesgadener Stiftskirche, so wird der Blick unmittelbar von dem frühbarocken Marmor-Hochaltar angezogen, den der Bildhauer Bartholomäus van Opstall 1663-69 in Anlehnung an den Hochaltar des Salzburger Domes geschaffen hat. Beherrscht wird der elegante Altar von dem Bild „Aufnahme Mariens in den Himmel“ des aus Ungarn stammenden Wiener Hofmalers Johann von Spillenberger. Künstlerisch nicht weniger bedeutend sind jedoch der Rokoko-Silbertabernakel sowie das prunkvolle Festantepedium, das an hohen Feiertagen dem Altartisch vorgeblendet wird und bei entsprechendem Lichteinfall regelrecht „funkelt“. Dieser sogenannte Silberaltar ist – was seine Abmessungen und seine kunsthistorische Bedeutung anbelangt – eine ausgesprochene Rarität.

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1735 hat Fürstpropst Cajetan Anton Notthafft von Weißenstein ihn beim angesehenen Augsburger Silberschmied Franz Thaddäus Lang in Auftrag gegeben. Weniger glanzvoll als der von ihm beschaffte Silberaltar waren einige Punkte im Leben von Fürstpropst Notthafft. Aufgewachsen als jüngster Sohn des Freiherrn Achatz Adam Notthafft auf der Burg Marquartstein, bat er nach seinem Studium in München 1688 um die Aufnahme in das Augustiner-Chorherrenstift Berchtesgaden. Bereits im ersten Novizenjahr wäre er wegen „charakterlichen Problemen“ fast entlassen worden. 1690 legte er die Profess ab, 1694 wurde er als Chorherr in das Stiftskapitel aufgenommen. Im Spanischen Erbfolgekrieg überfiel er an der Spitze eines bayerischen Fähnleins in der Nähe von Reit im Winkl die kaiserlichen Truppen und versuchte anschließend, sich in die Niederlande abzusetzen, wurde aber verhaftet. Durch die Intervention seines einflussreichen Bruders Marquard Ludwig von Notthafft konnte er in das Stift Berchtesgaden zurückkehren, wo er sich zu einer führenden Persönlichkeit im Kloster entwickelte. 1724 wurde er Stiftsdekan, 1732 schließlich Fürstpropst. Am Fürstenoratorium über dem Chorgestühl ließ er sein Wappen als kunstvolle Stuckarbeit anbringen.

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Er erließ ein sogenanntes „Emigrationspatent“, demzufolge alle Protestanten innerhalb von drei Monaten das Land verlassen mussten. In der neu erbauten Wallfahrtskirche Maria Kunterweg ließ er die Vertreibung der Protestanten im Deckengemälde verherrlichen, auch auf seinem Grabstein am linken Chorbogen der Stiftskirche steht: „… Er bekämpfte die Ketzerei und rottete sie aus …“

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In einem Chronogramm des Deckenfreskos in der Kirche Maria Kunterweg in Ramsau steht (übersetzt):
Auf Fürbitte der unbefleckten Jungfrau und Mutter ist der verderbende
Irrglaube hier von dieser Kirche ausgetrieben worden 1733


Zu dem von Notthafft beschafften Silberschatz gehörten neben dem Tabernakel und dem Antependium sechs „extra große hohe Kirchen Leuchter“, ein mit Silber beschlagenes Messbuch, ein Weihrauchfass mit Schiffchen und Löffelchen, eine Monstranz, eine Messkännchengarnitur sowie vier Messkelche. Zum Zeitpunkt der Bestellung waren in Augsburg mehr als 250 Goldschmiede tätig. Darunter auch der aus Schwaz in Tirol stammende Franz Thaddäus Lang, der zu den führenden Meistern auf dem Gebiet kirchlicher Goldschmiedekunst zählte. Seine Werke finden sich unter anderem in den großen Domkirchen von Augsburg, Freiburg, Konstanz, Würzburg und Eichstätt. In Trier schuf er ein etwa 4,60 Meter hohes und 2,50 Meter breites Reliquiar für den Heiligen Rock.

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Im Zentrum des Silberaltars ist auf der Tür des Drehtabernakels der Gekreuzigte mit Maria, Johannes und Maria Magdalena dargestellt. Links und rechts davon sind in Nischen Standfiguren aus getriebenem Silber angebracht (von links): Johannes der Täufer, Petrus, Paulus und Augustinus. Im Sockel werden neben dem letzten Abendmahl Szenen aus dem Leben der Heiligen gezeigt, nämlich die Taufe Jesu durch Johannes, die Verleugnung des Petrus, die Bekehrung des Paulus sowie bei Augustinus die Legende von dem Knaben am Meer. Über dem Drehtabernakel weist ein Pelikan symbolisch auf die Mutterliebe in der Kreuzigungsszene hin. Seitlich davon halten Putten das Stiftswappen und das Familienwappen der Notthaffts.

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Das letzte Abendmahl am Sockel des Tabernakels 



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Ein Sinnbild des Opfertodes Christi am Kreuz: der Pelikan, der seine Brust aufreißt, um seine Jungen mit seinem Blut zu nähren

 

 

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Zwei Putten halten das Familienwappen der Notthaffts


Beim dreiteiligen Festantependium wurden aus dem Kupferblech Motive – Ornamente und biblische Szenen – reliefartig herausgetrieben und zusätzlich mit Silbertreibarbeiten belegt. Die große Mittelplatte zeigt eine Darstellung des Mannasegens, seitlich flankiert von Porträts des hl. Augustinus und seiner Mutter Monika. Die Reliefs der beiden Seitenteile zeigen links den hl. Ambrosius mit dem Bienenkorb und rechts den lothringischen Ordensreformator Petrus Fourerius (1565-1640).

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Die Mittelplatte des Festantependiums

 

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Linkes Seitenteil: Hl. Ambrosius

 

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Rechtes Seitenteil: Petrus Fourerius


Bei den vier Standfiguren der Heiligen Johannes, Petrus, Paulus und Augustinus in den dafür vorgesehenen Tabernakel-Nischen handelt es sich nicht um massive Vollplastiken, sondern um Halbplastiken, die aus mehreren kleinen, entsprechend modellierten Silberblechen zu einem Ganzen zusammengefügt wurden, wobei der separat hergestellte Kopf jeweils mit dem Rumpf verschraubt wurde. Die Nahtstellen sind kaum wahrnehmbar, weil sie sorgfältig gelötet und dem Umfeld angepasst wurden.

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Hl. Johannes der Täufer

 

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Im Jahr 2006 waren die Silberfiguren in der Ausstellung
"Auf den Spuren eines Adelsgeschlechts - Die Notthaffte in Böhmen und Bayern"
im Egerlandmuseum Marktredwitz zu sehen


Die Kirchenrechnungen belegen, dass das Stift damals für Tabernakel, Antependium sowie die sechs Silberleuchter genau 15.615 Gulden bezahlen musste, ein Betrag, der heute vergleichsweise etlichen Millionen Euro entsprechen würde. Sicherlich musste deshalb Fürstpropst Notthafft auch – wie es damals üblich war – altes Kirchensilber einschmelzen lassen, um mit dem Erlös die neuen Silberschmiedearbeiten bezahlen zu können.
Doch auch an dem Silberaltar ist der Zahn der Zeit nicht spurlos vorübergegangen: 1983 stellte ein Gutachter fest, dass eine Gesamtrenovierung dringend geboten erscheint. Allerdings sahen Pfarrer Dr. Walter Brugger und die Kirchenverwaltung keine Möglichkeit, die Kosten von 30.000 DM aufzubringen. Da kam ein Jubiläum gerade zur rechten Zeit. Pfarrer i. R. Otto Schüller feierte im Mai 1984 sein Goldenes Priesterjubiläum und bat anstelle zugedachter Geschenke um Spenden für den Silberaltar. Der Aufruf fand nicht nur offene Ohren, sondern auch offene Hände: Innerhalb eines halben Jahres spendeten die Berchtesgadener mehr als 20.000 DM. So konnte die Renovierung durchgeführt werden. In der Osternachtfeier 1985 segnete Pfarrer Dr. Walter Brugger den Tabernakel neu ein. Ein großartiges Kunstwerk, das in seiner Kostbarkeit und Schönheit seinesgleichen sucht, konnte so für die kommenden Generationen erhalten werden.

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Symbol der Eucharistie: der "Mannaregen" auf der Mittelplatte des Festantependiums

Text/Fotos: Andreas Pfnür

 

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