"Zum Gebet mein Stim thuet erschallen"

Sechs alte Glocken in zwei 1866 neu aufgebauten Stiftskirchtürmen

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Die Stiftskirche St. Peter und Johannes der Täufer ist nicht nur die bedeutendste Kirche im Talkessel, sie ist auch die Kirche mit den meisten Glocken: Sechs Glocken hängen in den Glockenstuben der beiden Türme, die beiden größten im Nordturm, die übrigen vier im Südturm. Vier Glocken wurden 1597 von dem damals berühmten Glockengießer Martin Frey in München gegossen. Der gebürtige Kemptener goss in den Jahren 1587 bis 1602 zahlreiche Glocken für oberbayerische Kirchen. Frey starb 1603 in München, sein Epitaph befindet sich in der Münchner Frauenkirche.

 

Petersglocke

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Mit einem Gewicht von 2650 Kilogramm, einem Durchmesser von 164 Zentimetern und einer Höhe von 140 Zentimetern ist die auf den Ton Cis gestimmte Petersglocke die größte der sechs Glocken. In einem auf der Glocke angebrachten gerahmten Rechteck ist in lateinischen Großbuchstaben zu lesen: „Als man zelt 1596 istn Jar / Den 12. Marti ist gwis und war / Dis Gotshaus sambt 8 Gloggn abprunen: / Mancher mit Leben kaum entdrunen. / Gott wöll ferner mit seiner Gnad / Uns bhiettn vor Feur frue und spat.“ Diese Inschrift bezieht sich auf den 12. März 1596, als ein Blitz in den Südturm einschlug, der daraufhin bis zum Langhaus abgetragen werden musste. Über der Tafel befindet sich ein Bild des hl. Apostel Petrus. Gegenüber ist das Stiftswappen angebracht, nämlich zwei Schilde, auf dem einen die zwei gekreuzten Schlüssel des Stifts, auf dem anderen die sechs Lilien der Sulzbacher Stifterfamilie. Am Glockenhals über einem Fries die Umschrift: „Zu Gottes Lob und Ehr gehör ich – Martin Frey von Minchen gos mich AD MDXCVII“.

 

Frauenglocke

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Die zweitgrößte Glocke, die Frauenglocke, hängt ebenfalls im Nordturm. Sie ist auf den Ton D gestimmt, hat ein Gewicht von 1825 Kilogramm, einen Durchmesser von 144 Zentimetern und eine Höhe von 122 Zentimetern. Sie wird auch Aveglocke genannt und trägt unter dem Bild der Gottesmutter mit dem Kind in einem gerahmten Rechteck die Inschrift: „Zum Gebet mein Stim thuet erschallen / Thiet aus Andacht auf eur Knie fallen. / Lobt Mariam die Junkfrau rein / Mit eim englischn Grues aus Hertzn fein. / Darneben euch bevehlen thiet / Under ihrn Mantl das sy uns bhiet.“ Am Glockenhals steht über einem Fries in Großbuchstaben die Umschrift „In der Ehre Jesu Christi und S: Mariam leute ich – Martin Frey gos mich anno MDXCVII“. Im Jahre 1918 musste die Glocke trotz ihres ehrwürdigen Alters abgegeben werden, um den Bronzebedarf der Kriegsindustrie zu decken, aber das Ende des Ersten Weltkriegs rettete sie vor dem Schmelzofen.

 

Frühmess-Glocke

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Die größte der vier im Südturm hängenden Glocken ist mit einem Gewicht von 993 Kilogramm die Frühmess-Glocke, die auch Zwölfuhrglocke genannt wird. Sie hat einen Durchmesser von 118 Zentimetern und eine Höhe von 100 Zentimetern. Auf der Vorderseite ist unter einem Bild des hl. Johannes des Täufers in einem Rechteckrahmen folgende Inschrift angebracht: „Alsbalt die sechst Stund gehert wirt / In die Kirchen zrieffen mir gebiert / Daß man zur Friemes kommen sol. / Ein jeder wais sich zerichten wol / Gott darbay mit Andacht bitte sehr / Auf das er unser gebet erher.“ Die Rückseite trägt das Monogramm IHS in Renaissance-Umrahmung mit zwei Engelchen. Am Halse trägt die Glocke die Inschrift „Zu Gottes Lob und Ehr dine ich. Martin Frey von Minchen gos mich Anno MDXCVII“.

 

Andreasglocke

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Eine „Seiteneinsteigerin“ im Geläut der Stiftskirche ist die auf den Ton H gestimmte und zehn Zentner wiegende Andreasglocke. Ursprünglich 1537 gegossen, wurde sie 1807 umgegossen und hing seitdem im Turm der Pfarrkirche. Im Ersten Weltkrieg war sie „wegen ihres besonderen wissenschaftlichen und kunstgeschichtlichen Wertes“ von der Beschlagnahme, Enteignung und Ablieferung befreit. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam sie zur Vervollständigung des Geläutes vom Pfarrkirchenturm in den Südturm der Stiftskirche. Sie trägt die Inschrift „heylliger. s. iohanes. s. matheus. s. lucas. s. marcus. die vyyer. evangellist. behieten. alle. fruycht. der. erden.“ An der Seite der Glocke steht unter einem Bild des hl. Apostel Andreas die Jahreszahl. mdXXXVII (1537).
An ihrer Stelle hing ursprünglich im Turm die sogenannte Mittagsglocke. Sie wog 511 Kilogramm und war auf den Ton Ais gestimmt. 1853 wurde sie aus dem Erz ihrer Vorgängerin von Anton Oberascher in Reichenhall gegossen. 1918 musste sie zwar abgegeben werden, kam aber wieder zurück in den Turm. Im Zweiten Weltkrieg aber wurde sie abermals eingezogen und eingeschmolzen. Sie trug, wie aus noch vorhandenen Fotografien hervorgeht, ein Bild des Gekreuzigten mit Maria und Johannes sowie ein Bild des von Engeln getragenen Allerheiligsten. Am Glockenhals zwischen neugotischen Friesen die Umschrift „Gegossen von Anton Oberascher in Reichenhall 1853“. Meister Oberascher hat uns aber noch die Inschrift der ursprünglichen Glocke, die ebenfalls 1597 von Martin Frey in München gegossen worden war, überliefert. Nach dieser Inschrift ist sie die „Elfuhrglocke“ gewesen: „For all helt man mich lieb und schän / Mein Stimb um ailf Uhr las Gän / Alsbald man mich ein wenig hert / Die Speisen auf den Tisch begert / Damit man sich nicht säumig macht / Nach Essen alle Arbeit wert verbracht.“

 

Primglöcklein

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Die kleinste der fünf Glocken, die 1597 von Martin Frey für die Stiftskirche gegossen wurden, ist die Chorglocke, auch Feierglöckei oder Primglöcklein genannt. Die auf den Ton Cis gestimmte Glocke wiegt 400 Kilogramm, hat einen Durchmesser von 78 Zentimetern und eine Höhe von 67 Zentimetern. Die Inschrift in einer rechteckigen Tafel mit gotischen Ornamenten besagt: „Das Primglöcklein wir ich gnendt / Die Priesterschaft am besten kendt. / Ein jeder balt mit seim Brevier / Wan ich mich meld kumbt hervür / Seine Horas vleisig zu compliern / Damit ers ewig nicht mag verliern.“ Am Glockenhals über gotischem Fries die Inschrift „Gottes Lob gehör ich – Martin Frey gos mich A. M.D.XCVII“. Im Zweiten Weltkrieg musste die Glocke zwar abgeliefert werden, sie kam aber wieder zurück und hängt nun am alten Platz.

 

Martiniglocke

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Mit einem Gewicht von 180 Kilogramm, einem Durchmesser von 56 Zentimetern und einer Höhe von 48 Zentimetern ist die auf den Ton G gestimmte Martiniglocke die kleinste der sechs Stiftskirchenglocken. Sie wurde 1746 von Johann Hackhl in Salzburg gegossen. Die Vorderseite der Glocke zeigt unter einer liegend ovalen Kartusche mit der Inschrift „O. C. I. Graf v. Tige (=Otto Carl Innozenz Graf von Tige)“ das gekrönte Wappen der Tige: in goldenem Feld ein rotes Kreuz, das im oberen, heraldisch rechten Feld von einem kleinen roten Kreuzchen begleitet wird. Neben der Krone des Wappens links und rechts die Buchstaben G und T. Auf der Rückseite der Glocke das stehende Bild des hl. Johannes des Täufers mit Kreuzstab und Spruchband, zu seinen Füßen das Lamm. Am Glockenhals über einem aus Engelskörpern gebildeten Fries die Inschrift „Johann Hackhl in Salzburg goss mich anno 1746“. Die Glocke musste im Ersten und im Zweiten Weltkrieg abgegeben werden, kam aber beide Male unbeschädigt zurück.

 


Es stand im „Salzburger Kirchenblatt“ vom 31. Oktober 1866:


„Am Feste des hl. Ludwig wurde nach dem feierlichen Gottesdienste aus Anlaß des a. h. Namensfestes Sr. Majestät des Königs in hiesiger Stiftskirche die große Glocke aufgezogen. Vor etwa 20 Jahren mußte der nördliche Thurm der schönen gothischen Stiftskirche wegen bedenklicher Neigung gegen Kirche und Stiftsgebäude (jetzt königlich) bis auf ein Dritttheil abgetragen werden, und der Rumpf zwischen unschönem Gebälke zur Noth einige kleinere Glocken beherbergen; den südlichen Thurm hatte schon früher dasselbe Schicksal ereilt. Auf öfter und mehrseitig wiederholtes Andringen wurde der Neubau der Façade und der 2 Thürme erwirkt, und nachdem vom Landtag c. 50.000 fl bewilligt waren, im Frühling 1865 der Rest des Mauerwerkes abgetragen, und über demselben der Neubau begonnen. Bis zum Feste des hl. Ludwig war nun der Bau so weit gediehen, daß man alle Glocken wieder aufziehen konnte, von denen 4 der südliche, und die 2 größten der nördliche Thurm zu tragen hat. Nach dem hl. Amte und einer kurzen erhebenden Ansprache des hochw. Herrn Dechant und k. geistl. Rathes fand unter den Klängen der k. Bergmusik und dem Absingen einer Festkantate der Aufzug der herrlich geschmückten großen Glocke statt; die 5 andern waren schon Tags vorher ohne Unfall an ihre Stelle geschafft worden. In den Augen gar mancher Zuschauer sah man eine Thräne glänzen, als endlich von der Höhe des Thurmes unter dem Hämmern der Werkleute der lang vermißte hehre Ton erklang.“

Und es stand im „Berchtesgadener Anzeiger“ …

… am 17. März 1914: „Zur Zeit wird die auf dem nördlichen Turme der Stiftskirche sich befindliche altehrwürdige Frauenglocke, die ehem. Angelusglocke, umgehängt, da durch die langjährige Benützung sich schadhafte Stellen zeigten. Um zu sehen, ob die Glocke in ihrer neuen Lage richtig hängt, wird selbe ab Mittwoch nachmittags öfters geläutet. Es sei hierauf aufmerksam gemacht, damit niemand erschreckt und glaubt, es ertöne Feueralarm.


… am 13. Juni 1914: „Beim Läuten während der Fronleichnamsprozession fiel von der Frauenglocke der Schwengel heraus. Die Reparaturarbeiten machen es notwendig, daß ein Probeläuten stattfindet, was heute mittags nach 12 Uhr erfolgen wird. Es möge sich also niemand erschrecken lassen und glauben, es sei Feueralarm.“


… am 6. Juni 1931: „Die streikende Glocke – Beim Fronleichnamsläuten setzte gestern plötzlich die größte Glocke der Stiftskirche aus. Die Prozession bewegte sich nach dem Evangelium beim Bergwerk wieder dem Orte zu, als dieser Streik akut wurde. Von der 60 Zentner schweren Petersglocke brach während des Läutens der 2 ½ Zentner schwere Schwengel entzwei. Mit großer Wucht fiel derselbe auf den Boden des Glockengehäuses. Ein circa 2 Zentner wiegendes Stück war herausgefallen; der kleinere obere Rest des Schwengels blieb noch im Glockeninnern zurück. Zum Glück befand sich beim Herausfallen des schweren Glockenschwengels niemand auf der gefährdeten Seite. Zugleich aber wurde das Stundenschlagwerk unterbrochen. Wem also nicht schon beim Vollgeläute auf dem letzten Wege der Prozession die mächtig dumpfe Glocke fehlte, dem wurde sicher ihr Streik gewahr, als der nächste Stundenschlag um 11 Uhr aussetzte und bisher nicht mehr wiederkehrte.“


Andreas Pfnür

 

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