Der Adventskranz – kein alter Berchtesgadener Brauch

Die Vorweihnachtszeit ist heutzutage ohne den Adventskranz mit seinen vier Kerzen und den violetten, roten oder bunten Bändern überhaupt nicht mehr vorstellbar. Fragt man nach, dann heißt es „ein schöner, alter Brauch, den gab’s schon immer“. Und dennoch gehört dieses Brauchtum wohl zu den jüngsten in unserer Berchtesgadener Heimat. Keine hundert Jahre und noch dazu evangelisch-lutherischer Herkunft! Deshalb sei ein Blick in seine Geschichte erlaubt.

Der Adventskranz wurde 1839 in Hamburg von dem evangelisch-lutherischen Theologen und Erzieher Johann Heinrich Wichern erfunden. Der Pädagoge benützte ihn als Vorbereitungssymbol, um die Waisenkinder im sog. „Rauen Haus“ sinnhafter auf Weihnachten einstimmen zu können. Dieser ursprüngliche Adventskranz hatte vier große rote Kerzen für die Sonntage und dazwischen weiße für jeden Werktag. Dieser evangelisch geprägte Adventsbrauch fand schnell nachhaltigen Eingang im norddeutschen Bürgertum.

Der Weg in den Süden, wie nach Berchtesgaden, dauerte Jahrzehnte. Erst sehr spät nach seiner Einführung und sehr langsam erreichte er auch in katholischen Gegenden seine Anerkennung und Verbreitung. In München wurde erstmals 1930/31 ein Adventskranz in der katholischen Silvester-Kirche aufgezogen und von dort aus fand er sukzessive Aufnahme in den bürgerlichen Privathäusern.

Adventskranz in der Stiftskirche

Bild: Adventskranz in der Stiftskirche

Am ersten Adventssonntag des Jahres 1935 hat der damalige Kaplan Otto Schüller, ein gebürtiger Münchner, mit Zustimmung seines Pfarrers und Dekans Linhardt den ersten Adventskranz in der Stiftskirche zu Berchtesgaden aufgezogen. Das war gerade mal vor gut 80 Jahren.

Diesen "neuen" Adventsbrauch empfand die katholische Berchtesgadener Bevölkerung keineswegs neumodisch oder städtisch, sondern er kam sehr gut bei den eher konservativ eingestellten Berchtesgadenern an, wie sich der nachmalige Pfarrer Otto Schüller in seinen späteren Lebensjahren gerne schmunzelnd erinnerte. So darf es nicht verwundern, dass bereits ab dem Advent 1937 jeweils am Samstagvormittag vor dem ersten Adventssonntag die häuslichen Adventskränze in der Stiftskirche gesegnet wurden.

Häuslicher Adventskranz

Bild: häuslicher Adventskranz

Die Verbreitung des Adventskranzes im Berchtesgadener Talkessel geschah in den darauffolgenden Jahren; die Pfarreien bzw. Pfarrkuratien von Unterstein und Bischofswiesen waren die ersten, die den kirchlichen bzw. häuslichen Adventskranz als neuen vorweihnachtlichen Brauch noch in der Vorkriegszeit einführten. Gesicherte Daten aus Marktschellenberg und Ramsau sind nicht bekannt. Für eine flächendeckende Ausbreitung des Adventskranzes im gesamten Berchtesgadener Raum sorgte sicherlich die starke evangelische Immigration nach dem 2. Weltkrieg.

Der Adventskranz symbolisiert einerseits den Erdkreis mit den vier Himmelsrichtungen aber auch die mit der Auferstehung Christi gegebene Ewigkeit des Lebens. Die vier Kerzen versinnbildlichen die Zunahme des Lichtes durch die Geburt Jesu Christi an Weihnachten. Grün ist die Farbe des Lebens. Übrigens soll man die Kerzen traditionellerweise der Reihe nach entgegen dem Uhrzeigersinn anzünden.

Heute erinnert nichts mehr an die einst evangelischen Wurzeln des Adventskranzes. Er ist inzwischen zu einem gut katholisches Brauchtum der Vorweihnachtszeit geworden, und seine Formen wie individuellen Ausschmückungen tragen sinnvoll dazu bei. Eine Stiftskirche ohne Adventskranz wäre unvorstellbar!

Adventskranz mit rosa/roter Kerze für den Sonntag Gaudete (3. Adventssonntag) – in katholischen Gemeinden gern verbreitet.

Bild: Adventskranz mit rosa/roter Kerze für den Sonntag Gaudete (3. Adventssonntag) – in katholischen Gemeinden gern verbreitet.

Johannes Schöbinger

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